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Reformationsstadt Venedig

Italien

Venedig

Unsichtbare Kirche

In die attraktive und lebendige Stadt Venedig in Nordostitalien strömen Touristen aus der ganzen Welt. Sie kommen, um zu Fuß oder auf Wasserwegen das kulturelle Erbe von unschätzbaren Wert in Kunst und Architektur im historischen Zentrums, gelegen auf Inseln in der Lagune von Venedig, zu erkunden. Venedig und seine Lagune stehen seit 1987 auf der Liste des UNESCO-Welterbes.
Venedig war vom 12. bis 16. Jahrhundert die mächtigste Seerepublik Italiens und behauptete die Führungsposition gegenüber den konkurrierenden Städten Genua und Pisa. Weite Gebiete des Festlands von Friaul bis zu den Städten Bergamo und Brescia gehörten zum Herrschaftsbereich der Rebublik. Im östlichen Mittelmeer umfasste der Machtbereich unter anderem Zypern, Kreta, Istrien und Dalmatien. Die Stadt Venedig mit ihren 180.000 Einwohnern zählte zu den ganz großen Metropolen im Europa des 16. Jahrhunderts.
1451 wurde das römisch-katholische Patriarchat von Venedig errichtet. In den Beziehungen zur römischen Kurie kam es jedoch im späten Mittelalter immer wieder zu Konflikten, da Venedig immer auf seine Unabhängigkeit bedacht war. Die Stadt war international und multiethnisch. Sie zog Händler, Kaufleute, Handwerker, Intellektuelle und Geistliche aus aller Welt an. Ein großes deutsches Handelshaus, das Fondaco dei Tedeschi, befand sich unweit der Rialtobrücke.
Das Bewusstsein der Distanz zu Rom, zu Dogma und Lehre der katholischen Kirche, der Einfluss des Humanismus besonders auf die intellektuellen Schichten der Republik begünstigte ein Klima relativer Offenheit gegenüber der europäischen Kultur und den reformatorischen Ideen von jenseits der Alpen. Luthers Schriften fanden in Venedig, das mit seinen 500 Verlegern und Druckern im 16. Jahrhundert die Hauptstadt des europäischen Verlagswesens war, ab 1520 eine schnelle Verbreitung und über Venedig dann in ganz Italien. So wurde die Lagunenstadt zu einem Zentrum für die reformatorische Bewegung in Italien.
1524 wurde die Lektüre oder der Besitz heterodoxer Literatur mit der Exkommunikation bestraft. Die verbotenen Bücher kursierten jetzt meist im Untergrund und wurden in den Zirkeln Gleichgesinnter diskutiert. Draus entwickelten sich mitunter richtige Glaubensgemeinschaften. So entstand nach und nach ein geheimes Netzwerk, das von manchen Zeitgenossen sogar als „Kirche“ bezeichnet wurde, die aber nicht öffentlich sichtbar wurde. Die religiösen Motive dieser Bewegung zielten eben weniger auf eine Reform der Kirche als auf eine Besserung des Einzelnen, auf persönliche Aneignung des Glaubens und eine christlich geprägte Gesinnung.
Vertreter dieser Theologie fanden sich verstärkt in der venezianischen Ordensgeistlichkeit. Der Franziskanermönch Bartolomeo Fonzi (1502-1562) predigte in Anknüpfung an die Theologie Luthers. Einen besonderen Erfolg hatte er mit seinen Predigten bei den deutschen Händlern im „Fondaco“. Nach seiner Flucht 1531 nach Augsburg hielt er sich drei Jahre in Augsburg auf, wo er Luthers Schrift „An den christlichen Adel“ ins Italienische übersetzte, bevor er wieder nach Venedig zurückkehrte.
Nach Einführung der Inquisition 1542 gegen die Ausbreitung der „evangelischen Ketzerei“ verließen viele reformorientierte Denker Venedig und flüchteten über die Alpen nach Zürich, Basel, Straßburg oder auch in Calvins Genf. Die meisten von ihnen, obwohl sie alle als „Lutheraner“ bezeichnet wurden, waren tatsächlich eher Anhänger der schweizerischen reformierten Reformation.
Fonzi sympathisierte in seiner Letzten Lebensphase mit den Täufern. In Venetien hatten sich zahlreiche Täufergruppen gebildet, die 1550 in Venedig eine Synode abhielten. Bald darauf jedoch wurden sie von Inquisition entdeckt und verfolgt. Auch Fonzi geriet in ihre Fänge. Nach seiner Gefangennahme wurden ihm der Prozess gemacht. Er zog sich über vier Jahre hin und endete mit dem Todesurteil. Es wurde in Anwendung der venezianischen Hinrichtungsmethode für Ketzer vollstreckt, dem Ertränken in der Lagune.
Ab der 1550er Jahre hatte sich durch verstärkte Repressalien der Inquisition die Lage der reformatorischen Anhänger in Venedig wie im übrigen Italien verschlechtert. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts waren schließlich alle Netzwerke zerschlagen. Eine Ausnahme bildete der Fondaco dei Tedeschi, in dem deutsche Händler und Kaufleute den evangelischen Gottesdienst feiern durften.
Heute gibt es im „protestantischen“ Venedig eine lutherische, eine waldensisch-methodistische, eine anglikanische und eine baptistische Kirche.

Luigi Brugnaro

Bürgermeister, Venedig

Links

Kommune Venedig: www.comune.venezia.it
Comunita Evangelica Luterana di Venezia: www.kirche-venedig.de
Chiesa Evangelica Valdese e Metodista di Venezia: veneziavaldese.wordpress.com
Chiesa Evangelica Luterana in Italia: www.chiesaluterana.it
Chiesa Evangelica Valdese: www.chiesavaldese.org